Erläuterungen
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Wie kam ich zu dem Dialog mit Albrecht Dürers Bildern? 

Ich erinnere ich mich an einen Kommentar von Chris, als wir die Szene in der "Küche" drehten, diesem Raum, in dem ich den Boden putzte. Chris hatte mich mit Dürers melancholischem Engel verglichen. Ich befand mich da in einer vom Zufall der Menschentätigkeiten geprägten Nutzlandschaft. Vor langer Zeit war sie als Dunkelkammer für Fotografie geplant, dann als Partyraum genutzt mit entsprechenden Relikten. Ergänzend hatte sie wohl als Computer-Arbeitsplatz gedient und für elektrische Reparaturen. All dies hatte Spuren verlassen, und jetzt handelte ich dort nackt, mit dem Abstand eines Symbols.

Werfen wir einen Blick auf Dürers "Melancolia." Dürer war der erste Künstler, dessen Erfolg auf Reproduktionen - seinen Drucken - beruhte. In der Geschichte der Kunst steht er am Anfang eines Kopierenkönnens, das mit dem potentiellen Verschwinden der Bedeutung des Originals uns als Künstler heute umgibt. Damals wie heute weitbekannt ist Dürers melancholischer Engel, wie er zwischen den Höhepunkten menschlichen Erkennens und Forschens sitzt - und diese Werte bauen keinen Tempel, sondern liegen zerstreut herum, wie Ruinen oder zumindest wie wertarmes Gebrauchsgerät. Chris' Kommentar "Diese Szene erinnert mich an Dürers Melancolia", war ein Impuls für mich. Er regte mich an, vier Fotos aus meinem Projekt um zwei Werke von Dürer zu gruppieren. 

Monate zuvor hatte ich eine Performance entworfen, bei der eine arme und eine reiche Frau einander unter einem Gesichtspunkt ähnlich werden: Ihre soziale Situation umdrängt sie. Sie befassen sich mit Arbeit und Inhalten, die sehr leer sind. Dennoch entsteht in ihnen kein Gedanke, nach Alternativen Ausschau zu halten  Das von den Handlungen her provozierend Enge und Leere meiner Performance stellt meiner Überzeugung nach sehr wohl eine von vielen im Inneren heutzutage akzeptierte Lebensform dar. Ich weiß nicht, ob beispielsweise im Mittelalter auch ein Großteil der Bevölkerung "putzte", und ein winziger Teil der Bevölkerung "Schuhe auswählte". Dass es so etwas heutzutage weiterhin gibt, bei all der angeblichen Freiheit und dem angeblichen durchschnittlichen Wohlstand der mitteleuropäischen oder us-amerikanischen Bevölkerung, muss an fortgeschrittenen Dämpfungsmechanismen unseres Expansionsdrangs liegen. Die Stichworte, mit denen meine Homepage beginnt -  marketing effects > results of modern business > manipulation hatte ich hier früh im Auge, als ich eine Frau darstellen wollte, die für andere arbeitet, und im Dialog dazu eine Frau, die gelangweilt über zuviel Arbeitsangebote anderer verfügt. Der Arbeitstitel der Performance lautete zunächst "Arme Frau / Reiche Frau." 

Nachdem Chris ein Drehbuch zu den Ideen erstellt hatte, wanderte der Titel der Performance näher heran an ihre Botschaft: Er lautete nun "Kaufen und Verkaufen" , mit dem Ziel, die mögliche tragische seelische Nachbarschaft beider Zustände abzubilden. Die Putzfrau ist Verkäuferin, die Schuhfrau ist ein Käufer. Klar gibt es einen Käfig um die arbeitende Klasse. Überraschend, aber realistisch sitzen auch Vertreter der besitzenden Klasse in Käfigen. Die spontane Hoffnung, Reiche sollten die Situation der Armen aufzubessern helfen, und das frustrierende Erlebenmüssen, wie die Reichen tendenziell reicher und die Armen noch ärmer werden, bilden die Seitenflügel meiner Performance: Was wirft uns in solch alberne Käfige?

Damit gelangen wir zur Mitte meiner Filminstallation, die wie die beiden Bildfolgen als Triptychon angelegt ist. Sie befasst sich symbolisch mit Ursachen und Folgen, warum und wenn Menschen sich in ein Leben unterhalb ihrer Möglichkeiten begeben und bewegen. Ich bin überzeugt davon, dass wir in einem Kokon aus Zensuren stecken: "Komm, iss, da gibt es Unmassen zu futtern" - "Es ist besser für dich, wenn du behauptest, hier nichts zu sehen" - "Bleibe zumeist in Deckung und überlege genau, wann, wo und wofür du kämpfst".

Weltbekannt sind diese drei Affen: Einer vermeidet zu hören, der zweite hält sich den Mund zu, der dritte will nichts sehen. Wir sind zum Teil von Menschen umgeben, die uns zum Affen machen wollen, nicht wahr? Mal versuchen sie uns zu zwingen, uns als Affen wie sie zu benehmen, mal können wir es nicht fassen, wie sie Offensichtliches nicht hören, nicht sehen, nicht mal riechen wollen.

Als Kinder übernehmen wir, was wir riechen und hören und sehen. Wir müssen aufwachsen. Wir wühlen uns ins Leben mit einer durchwachsenen Mischung aus Fremdzensur, aus Überlebenswillen, und aus höheren Bedürfnissen nach Selbstfindung und Selbstbestätigung. Viele Biografien bringen den Einzelnen zu Momenten, in denen er sieht: Ich bin nur ein winziger Ausschnitt der Möglichkeiten des Menschenseins. Ich bin nur eine winzige Strecke der Geschichte gegangen. Ich wurde vom Zufall gewürfelt. Aber ich hatte ein paarmal auch durchaus die eigene Wahl. Habe ich mich zu einem Ausschnitt des Ganzen manövriert, der mir zusagt?

Im Moment, wo ich anhand der eigenen Performance zu solchen Gedanken gelange, fällt mir auf: Das wird doch von Psychologen als die "Midlife Crisis" bezeichnet... Meinem Gefühl nach kann diese melancholische Phase auch früher als in der Lebensmitte starten, und viele werden mit solchen Gedanken sterben.  Die Mitte meiner Filminstallation drückt in ihren Bildern dieses "Nackte Grübeln in der Lebensmitte" aus: Ich folgte Versprechen, die falsch waren. Meine Sinne wurden tendenziell stummgeschaltet. Ich wurde benutzt, und manchmal war das durchaus okay. Ich bewege mich nun in einem kleinen Ausschnitt des Möglichen und Machbaren nicht so sehr als Ergebnis von freien Entscheidung, als vielmehr gewachsen durch Zufälle und einschränkende Abfolgen.

Es ist dabei nicht meine Absicht und Konsequenz, Schulden zuzuweisen an Eltern oder Gesellschaft. Der Werdegang hinein in Lebenssituationen, die dann als Käfig erkannt werden, hat teilweise etwas Unvermeidbares. Wir müssen uns vor vielen Einflüssen schützen. Wir existieren, indem wir Mitmenschen zeitweise benutzen, und manchmal werden eben wir benutzt.

Fazit? Während eines Teils meines Lebens spüle ich Geschirr, putze ich den Boden, mit recht passend dem Gesichtsausdruck meiner Performance. Kein Geschrei, kein Protest. Wir tun´s halt. Sollte ich je reich werden, werde ich mich an Schuhen satt kaufen. Ich werde den Moment meiner Performance erreichen, wo der anfängliche Kaufspaß und Genuss des Besitzens in ein Wählenmüssen umschlägt, dem der ganze Besitz nicht mehr passt.

Ich gebe zu: Das ganze Film-Triptychon, von der Putzhilfe links bis zur "Paris Hilton" rechts, mit dem vielfach zensierten Weib in der Mitte: Das ist meine Herkunft, das sind denkbare Zwischenstationen meines eigenen Daseins, das bin in weiter Fassung eben ich. In einer melancholischen Stunde.

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